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Diese Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit und spielt in den 50-ern. Der Protagonist der Geschichte bin ich selbst.

Es ist eine von 26 Kurzgeschichten aus meinem Buch "Erlebtes und Erdachtes", und passt gut in die bevorstehende Adventszeit. Den Schluss der Geschichte könnt ihr nur erfahren, wenn ihr euch das Buch kauft. Ihr findet darin auch noch weitere Weihnachtsgeschich-ten (u.a. warum in der Hl. Nacht zwei Arten von Sternen geschaffen wurden), eine Geschichte vom Osterhasen und viele andere mehr. Es ist ein Buch für Jung und Alt.

Die Zither meiner Mutter ist noch in meinem Besitz. Spielen kann ich jedoch nicht.


 

Bilder von re. nach li.

Die Original-Zither von damals

Die Original-Zitherschule von damals

Tante Wilhelmine und meine Mutter

Mein Buch - erschienen bei BoD

Onkel Friedrich (mein Clark Gable)

Meine Eltern und Tante Wilhelmine

vermutlich am 4. Advent 1944 - kurz vor meiner Geburt

Meine Wenigkeit zur Zeit der Geschichte

Advent, Advent…

 

   Advent, Advent, ein Lichtlein  brennt; erst  eins, dann zwei, dann  drei, dann vier, dann  steht das  Christkind vor der Tür...

   Heute war der zweite Adventsonntag und die Familie saß andächtig in der Küche beisammen. Das Feuer im Herd bescherte eine gemütliche Wärme. Man konnte das Holz krachen hören; es waren lauter kleine Explosionen und manchmal waren sie so laut, dass man hätte erschrecken können. Das Wasserschiff an der Schmalseite des Herdes summte gleichmäßig vor sich hin. Viele werden diese sinnvolle Einrichtung gar nicht mehr kennen. Es war ein in den Herd integriertes Behältnis, in welchem sich stets warmes Wasser befand - vorausgesetzt natürlich, der Herd war eingeheizt. Dieses Behältnis hatte wohl die verschiedensten Bezeichnungen. Unseres hieß schlicht und einfach "Wasserschiff".

   Pauli saß neben dem besagten Schiff. Es war dies sein Stammplatz, den ihm auch niemand streitig machte. Das lag wohl nicht so sehr an der ohne Zweifel in reichem Maße vorhandenen Autorität, die von dem lebensbejahenden, reifen Neunjährigen ausging, als vielmehr an der Tatsache, dass von der Seitenfront des treulich dienenden und stets verlässlichen Heizgerätes eine teuflische Hitze ausging, welche niemand außer Pauli zu ertragen imstande war. Die vis-à-vis-Seite des kleinen Küchentisches war das Refugium von Paulis Mutter, deren vornehmste Pflicht die Verwaltung des Familienbestecks war, welches sich in der Schublade befand, die unter dem Tisch angebracht war und die nur von ihrer Seite zu öffnen ging.

Rechts von Mutter saß Tante Wilhelmine. Sie war die Köchin, der Heizungsingenieur, das Hirn und der Verwalter der Familie. Und ihr gegenüber war der Platz für die Kurzfristigen. Das waren Personen, die nie über einen sehr langen  Zeitraum anwesend waren. Der Häufigkeit nach gemessen war dies an erster Stelle wohl der Bruder von Pauli, der viel zu alt war, als dass man mit ihm hätte etwas Gescheites anfangen können. Dann kam Onkel Friedrich, der Lieblingsonkel von Pauli und nebenbei noch der Bruder von Mutter und Tante Wilhelmine.

   Onkel Friedrich war ein Volltreffer. Er sah aus wie Clark Gable und es gab nichts, was er nicht konnte. Pauli vergötterte ihn. Die restlichen Benützer dieses Platzes waren irgendwelche weitschichtigen Verwandten oder gelegentliche Besucher. Paulis Vater gab es nicht; aber für ihn wäre eh kein Platz mehr gewesen, denn der Tisch war ein echter "Viersitzer".

   Mutter hatte Pauli erzählt, dass der Vater im Krieg geblieben wäre und damit war dieses Thema zur Genüge behandelt. Nun saßen sie also in der Küche: Pauli, die Mutter und Tante Wilhelmine und es war zweiter Advent und bis Weihnachten waren es noch volle fünfzehn Tage und fünfzehn schlaflose Nächte.

   Pauli war in einer äußerst desolaten Gemütsverfassung. Zum einen plagte ihn die Neugier auf die hoffentlich zahlreich anfallenden Weihnachtsgeschenke und zum anderen schleppte er ein Geheimnis mit sich herum, das ihn von innen heraus begann mit Haut und Haaren aufzufressen. Was Ersteres betraf, so hatte er den Samen für eine reiche Ernte gelegt. Seit Anfang November überschlug sich Pauli förmlich im Ausüben von Mutter-, Onkel- und Tanten-gefälligem Benehmen. Er befleißigte sich bei jeder nur sich anbietenden Gelegenheit zu glänzen und der Titel des bravsten und wohlerzogensten Knaben auf Landesebene war ihm wohl kaum noch zu nehmen.

   Es war Pauli voll bewusst, dass das anstehende Weihnachtsfest wohl im höchsten Maße - was die Anzahl der Geschenke betraf - rekordverdächtig war. Aber das alles war kein Trost für die schrecklich nagende Neugier. Er beobachtete schon geraume Zeit den Kreis der potentiellen Gabenlieferanten mit aller gebotenen Vorsicht und Diskretion, aber nicht einer hätte sich auf irgendeine Weise verdächtig gemacht.

   Wenn er bedachte, dass er seinerseits seine Geschenke schon seit Anfang Oktober komplett zusammen hatte, so musste ihn die Tatsache einfach stutzig machen, dass noch keiner der lieben Verwandten bisher etwas nach Hause gebracht hatte, was nur annähernd die Ausmaße oder die unverwechselbare Verpackungsart besaß, die nur auf das eine hätten schließen lassen.

   Sollte er sich bei seiner Selbsteinschätzung etwa geirrt haben? Hatte er vielleicht einmal irgendeiner Bitte erwachsenerseits nicht entsprochen? Oder war er gar keck mit einer Antwort und es war ihm nur nicht aufgefallen? Um Gottes willen - nicht auszudenken! Jetzt, wo er darüber nach dachte, fiel ihm auf, dass Onkel Friedrich in letzter Zeit etwas wortkarg ihm gegenüber war. Da musste etwas vorgefallen sein. Und Tante Wilhelmine drückte ihn auch viel weniger als sonst. Und Mutter? Nein, nein, mit Mutter war soweit alles in Ordnung...

   "Pauli", "Pauli!"

Pauli hörte weit weg irgendjemanden seinen Namen rufen.

   "Wo bist du denn mit deinen Gedanken?"  

Es war die Mutter.

"Es ist alles in Ordnung",stammelte Pauli und er setzte das verbindlichste Lächeln auf, welches er auf die Schnelle erhaschen konnte.

   "Dann ist es ja gut",  fuhr die Mutter fort.

   "Hole mir bitte die Zither aus dem Schlafzimmer."

   "Ja Mutter."

Pauli eilte in das Schlafzimmer der Mutter, bückte sich nieder, schlug die Bettdecke hinauf und griff nach Mutters Zither. Mutter war der Musikant in der Familie. Sie hatte als junges Mädel Zitherunterricht bei einer gewissen "Zitherbabette" genommen, welche Pauli nur dem Namen nach kannte. Vielleicht hatte die Gute schon längst das Zeitliche gesegnet. Pauli hatte sie zumindest noch nie im Dorf gesehen und im Dorf kannte schließlich jeder jeden.

Der Knabe trug das alte Instrument in die Küche und Mutter baute es auf dem Tisch auf. Sie nahm es behutsam aus dem alten Pappbehältnis und legte es vorsichtig hin. Dann stülpte sie sich den Ring über den Daumen der rechten Hand, nahm den Stimmschlüssel aus der dafür vorgesehen Ecke der Schachtel und dann begann sie mit viel Sachkenntnis das alte, kostbare Instrument zu stimmen.

   Die restlichen Anwesenden, das waren Pauli und Tante Wilhelmine, sahen ehrfurchtsvoll und mucksmäuschenstill dabei zu. Es galt die Künstlerin in ihrer Konzentration jetzt nicht zu stören. Als das Stimmen der Zither vorüber war, nahm die Mutter das Notenbuch in die Hand, schlug es auf und suchte im Anhang den Teil für die Feste, welche sich über das Jahr verteilten: Ostern, Pfingsten, Erntedank und Weihnachten.

   Tante Wilhelmine hatte aus der versperrten Wohnzimmerkredenz eine Handvoll von den selbstgebackenen Weihnachtskeksen geholt und der Tee stand schon aufgebrüht auf dem Tisch. Der Adventskranz erstrahlte im Licht seiner zwei Kerzen und die ganze Küche duftete nach Tannennadeln. Tante Wilhelmine hatte einige Zweigerln Tannenreisig aufs Feuer gegeben und daraus  entwickelte sich ein üppiger, süßer Duft, welcher sich im ganzen Raum verbreitete.

    Dann war es so weit. Mutter griff in die Saiten. Die linke Hand spielte die Melodie und die rechte begleitete. Die linke Hand lief wie geschmiert, aber die rechte machte doch erhebliche Schwierigkeiten. Es lag wohl daran, dass die linke Hand nur jeweils eine der Seiten bedienen musste, während dessen sich die rechte Hand einer Riesenauswahl von Saiten gegenüber sah und da war die Gefahr schon beträchtlich, dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht sah. Aber Mutter meisterte diese Hürde mit Bravour.

Mit der linken spielte sie den ersten Ton des Stückes und der Chor - Pauli, Tante und auch die Mutter selbst - sangen inbrünstig die Silbe oder auch das ganze Wort, das mit diesem Ton in Zusammenhang stand, mit. Inzwischen suchten die Finger der rechten Hand wieselflink nach den Saiten, welche den Begleitakkord bilden sollten. Sobald sie fündig geworden waren, ließen die  Finger der Mutter ebendiesen Akkord virtuos erklingen. Und im selben Augenblick hatte der Finger der linken Hand auch schon mutig den nächsten Ton ergriffen und der Chor war zeitgleich mit eingefallen.

    Wenn man dieser musikalischen Darbietung aufmerksam zuhörte, so musste sich einem unweigerlich eine Bewunderung aufdrängen für das feine Gespür aller Beteiligten. Sie bildeten eine homogene Zweckgemeinschaft, die es meisterlich verstand - auch ohne Proben während des Jahres - im entscheidenden Augenblick Großes zu leisten.

Die kleine musikalische Gemeinschaft hatte sich zwischenzeitlich warm gespielt und warm gesungen und sie war im Begriff sich höchsten Anforderungen zu stellen. Vielleicht war es auch der hochprozentige Rum, der zur Veredelung des Teegenusses beitrug, welcher den Beteiligten Mut einflößte; auf jeden Fall legte die Mutter "Kommet ihr Hirten" auf. Wer dieser musikalischen Literatur kundig ist, der weiß, dass dieses Opus höchste Anforderung an den Künstler stellt.

Hatten sich die bisherigen Stücke auf einem Niveau von C-dur bis F-dur bewegt, so schauten der Mutter jetzt sage–und-schreibe fünf Kreuzzeichen mit herausforderndem Blick aus dem Notenblatt entgegen. Hinzu kam noch das ständige Auf und Ab der Noten in zum Teil als monströs zu bezeichnenden Sprüngen. Aber was half `s? Es war nun einmal Mutters Leib- und Magenstück.

Mit diesem Weihnachtslied kämpfte sie seit Anbeginn ihrer Zitherkarriere. An diesem Stück biss sie sich Jahr – für - Jahr ihre Zähne aus, aber sie ließ nicht ab.

   Das Spiel wäre ja noch gegangen, wenn man einmal davon absieht, dass fünf Kreuze einfach zu viel sind für das menschliche Gehirn und dass die linke Hand keine wesentliche Schuld trifft, aber die Pausen von einem richtigen Ton zum nächsten richtigen Ton waren  teilweise so groß, dass der Chor unüberwindliche Schwierigkeiten hatte, der musikalischen Begleitung der Mutter zu folgen. Und so hatte der Chor, was Pauli und Tante Wilhelmine betraf, schon längst aufgegeben, als die Mutter noch immer den aussichtslosen Kampf mit ihrem musikalischen Erzfeind führte und eine weitere Niederlage sich immer mehr abzeichnete... 


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Kommentare: 2
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    Eulalia Otwell (Sonntag, 05 Februar 2017 21:30)


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    Jesus Trask (Montag, 06 Februar 2017 08:42)


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